Ein grundlegendes Ziel wissenschaftlicher Forschung ist die Entwicklung von Theorien. Das mag auf den ersten Blick recht trocken und vielleicht auch etwas realitätsfern klingen. Tatsächlich sind gute Theorien jedoch sehr nützlich für die Praxis.
Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.
Kurt Lewin
Wissenschaftliche Theorien dienen dazu, die Phänomene ihres Gegenstandsbereichs (1) zu beschreiben, (2) zu erklären und – wenn möglich – (3) vorherzusagen. Konkret auf die Meditationsforschung bezogen, geht es dabei beispielsweise um folgende Fragestellungen:
- Beschreiben – Was ist Meditation? Wie lässt sich Meditation definieren?
- Erklären – Wie funktioniert Meditation? Welche Mechanismen spielen eine Rolle?
- Vorhersagen – Welche Wirkungen treten bei der Praxis einer Meditationstechnik auf?
Eine gute Theorie fördert somit (1) die begriffliche Klarheit sowie (2) das Verständnis, wie Meditation wirkt, und sie kann Ihnen außerdem (3) Orientierung bieten, welche Ziele Sie mit Meditation erreichen können. Das klingt doch eigentlich ganz viel versprechend, oder? Aber schauen wir genauer hin, wie es mit guten Theorien im Bereich der Meditationsforschung steht …
Was ist Meditation?
Es gibt in der wissenschaftlichen Literatur zahlreiche Versuche, Meditation allgemein zu definieren. Bei näherer Betrachtung erweisen die vorgeschlagenen Definitionen sich jedoch durchweg als unbefriedigend, weil sie entweder zu vage oder zu eng gefasst sind. Es existiert bisher keine allgemein anerkannte Definition für Meditation!
Das Problem liegt darin begründet, dass es viele unterschiedliche Meditationstechniken gibt. Eine Definition, die alle Techniken umfassen möchte, muss notgedrungen sehr allgemein bleiben und umfasst dann auch Handlungen, die gemeinhin nicht als Meditation angesehen werden. Ein Beispiel zur Illustration. Meditation ist …
… a ritualistic procedure intended to change one’s state of consciousness by means of maintained, voluntary shifts in attention.
(… ein rituelles Verfahren mit der Absicht, den eigenen Bewusstseinszustand durch anhaltende, willentliche Aufmerksamkeitsverschiebungen zu verändern.)
Farthing (1992)
Auf den ersten Blick klingt das gut. Aber: Wenn Sie heute Abend im Bett „Schäfchen zählen“, um einzuschlafen, dann wäre das nach dieser Definition eindeutig Meditation.
Noch ein Beispiel für eine zu enge Definition:
Als Meditation bezeichnen wir die Bewusstseinsentfaltung, in der das eigene Selbst als eins mit dem überindividuellen Einen erfahren wird.
Scharfetter (1994)
Das ist eine stark an der indischen Philosophie orientierte Definition, bei der als Ziel die Erfahrung der Einheit von individueller Seele (Atman) und Weltseele (Brahman) festgelegt wird. Diese Zielsetzung wird jedoch sicherlich nicht von allen Meditierenden geteilt.
Der Autor ist sich dieser Begrenzung bewusst und liefert gleich im Anschluss eine weitere – mehr in akademischer Sprache formulierte – Definition:
Meditation ist die durch regelmäßiges Üben, eingebettet in eine gesamthaft darauf ausgerichtete Lebensführung zu gewinnende temporäre, intentionierte, selbstgesteuerte Einstellung eines besonderen (d. h. vom durchschnittlichen Tageswachbewusstsein unterschiedenen) Bewusstseinszustandes.
Scharfetter (1994)
Auch diese Definition weist wiederum einige Schwächen auf:
- Es fehlen Angaben zum konkreten Vorgehen: Was wird geübt?
- Es wird ein hoher Anspruch formuliert: Ausrichtung der gesamten Lebensführung.
- Der „besondere Bewusstseinszustand“ wird nicht weiter definiert.
Der Versuch, eine Definition zu finden, die alle Arten von Meditation umfasst, ohne zu allgemein zu sein, hat, wie oben bereits erläutert, kaum Aussicht auf Erfolg, weil es sich bei „Meditation“ um einen Oberbegriff handelt, der zahlreiche unterschiedliche Techniken umfasst. Schauen wir uns diese im Folgenden genauer an, um etwas Ordnung in die Vielfalt zu bringen …
Welche Meditationstechniken gibt es?
Die Frage „Was ist Meditation?“ beantwortete ein Artikel von Karin Matko und Peter Sedlmeier aus dem Jahr 2019 mit dem Vorschlag eines „empirisch abgeleiteten Klassifikationssystems“ – so der Titel ihres Artikels. Aus über 309 verschiedenen Techniken, die sie in der Literatur fanden, wählten sie die 20 populärsten Techniken aus. Diese Techniken ließen sie von Experten bezüglich ihrer Ähnlichkeit bewerten. Eine Analyse der Daten mittels multidimensionaler Skalierung ergab zwei Dimensionen (benannt als „Aktivierung“ und „Körperorientierung“).
Bei der Analyse der Anordnung der 20 Techniken in diesem zweidimensionalen Raum zeigten sich sieben Gruppen (Cluster) von Techniken (siehe Figure 2 im Originalartikel):
- Meditation mit Bewegung: Gehen, Tai Chi, Qigong, Yoga etc.
- Körperzentrierte Meditation: Durchwandern des Körpers (Body Scan), achtsames Atmen, Konzentration auf Zentren im Körper
- Achtsames Beobachten: Empfindungen, Gefühle und Gedanken
- Kontemplation: Beschäftigung mit Frage (z. B. »Wer bin ich?«)
- Visuelle Konzentration: äußeres Objekt oder Visualisierung
- Affektzentrierte Meditation: Mitgefühl, liebende Güte etc.
- Mantra-Meditation: Wiederholung von Begriffen oder Silben (z. B. »OM«)
Wenn Sie diese Gruppierung von Techniken aus neurowissenschaftlicher Sicht betrachten, fällt auf, dass sich in der Einteilung die funktionelle Neuroanatomie des Gehirns widerspiegelt:
- Motorik
- Somatosensorik
- Aufmerksamkeit
- Kognitionen
- Visuelles System
- Emotionen, limbisches System
- Auditorisches System, einschließlich Sprachproduktion
Wir können in einer Meditation ganz unterschiedliche Sinnesmodalitäten ansprechen, uns bewegen oder in Bewegungslosigkeit verharren, den Fokus auf das Spüren, Fühlen oder Denken lenken oder deren Zusammenspiel als Ganzes betrachten (3. Achtsames Beobachten).
Eingangs hatte ich erwähnt, dass es weitaus mehr Artikel zum Thema Achtsamkeit gibt, als zu Meditation. Wie kann das sein, wenn Achtsamkeit doch eine Meditationstechnik ist? Hier ist eine begriffliche Definition hilfreich, um den scheinbaren Widerspruch aufzuklären.
Was ist Achtsamkeit?
Die nach meiner Einschätzung am häufigsten zitierte Definition für Achtsamkeit lautet wie folgt. Achtsamkeit ist:
Die Bewusstheit, die dadurch entsteht, dass die Aufmerksamkeit absichtsvoll, im gegenwärtigen Moment und nicht-wertend auf die sich von Moment zu Moment entfaltende Erfahrung gerichtet wird.
Jon Kabat-Zinn (2003), meine Übersetzung
Achtsamkeit ist einerseits eine Meditationstechnik (siehe oben). Es ist aber zugleich auch mehr als das: Achtsamkeit ist eine Geisteshaltung. Es gibt inzwischen mehr als ein Dutzend Fragebogen, die entwickelt wurden, um Achtsamkeit zu messen. Die Fragebogenwerte lassen sich dann in der Forschung nutzen. Es gibt also Studien zum Thema Achtsamkeit – und zwar wirklich viele! –, in denen niemand meditiert. Achtsamkeit wird lediglich mit einem Fragebogen erfasst und dann auf Zusammenhänge mit anderen Variablen untersucht.
Lassen Sie uns zuletzt noch einen Blick auf die Verbreitung der unterschiedlichen Meditationstechniken werfen. Dazu möchte ich Ihnen kurz die Ergebnisse einer Online-Studie vorstellen, an der ich selbst auch beteiligt war.
Beliebte Meditationen – die Top 10
In einer Online-Studie von Matko et al. (2021) wurden über 600 Meditierende verschiedener Traditionen gefragt, welche Techniken sie praktizierten. Sie konnten auch mehr als eine Technik angeben, was häufig der Fall war. Es ergab sich folgende Top 10-Liste:
- den gesamten Körper mit der Aufmerksamkeit durchwandern
- auf das Heben und Senken der Bauchdecke beim Atmen achten
- beobachten, wie Gedanken im Geist entstehen, ohne daran zu haften
- auf Atemfluss im gesamten Körper achten
- den Körper durchgehen, Emotionen und Verspannungen wahrnehmen und lösen, zum Beispiel mit Hilfe des Atems
- Mitgefühl, Mitfreude, Gleichmut, liebende Güte kultivieren (für sich selbst, Freunde, neutrale Menschen, Feinde, ganze Welt)
- beobachten, wie Körperempfindungen entstehen, ohne daran zu haften
- Sutren/Mantren singen
- im Liegen in einen Zustand tiefer Entspannung bei vollem Bewusstsein hineingehen
- auf Empfindungen achten, die beim Ein- und Ausatmen in der Nase entstehen
Um den großen Stellenwert des Körpers und der Atmung zu verdeutlichen, habe ich alle damit verbundenen Begriffe fett hervorgehoben. Körperwahrnehmung und Atmung spielen auch eine wichtige Rolle für das Verständnis, wie Meditation wirkt – dem nächsten Thema, dem wir uns nun widmen werden.
Wie funktioniert Meditation?
Es gibt wiederum unzählige Ansätze, die Funktionsweise von Meditation zu erklären. An dieser Stelle möchte ich exemplarisch einen viel zitierten Artikel von meiner Kollegin Dr. Britta Hölzel, weiteren AutorInnen und mir vorstellen, der im Jahr 2010 erschienen war. Damals versuchten wir jene Mechanismen zu beschreiben, für die hinreichende empirische Belege vorlagen.
Wir beschrieben vier Mechanismen, über die Achtsamkeitsmeditation ihre Wirkung entfaltet:
- Aufmerksamkeitsregulation. Meditierende üben, ihre Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Objekt, wie beispielsweise die Atemempfindungen, zu richten (oder auf beliebige Objekt, die auf der inneren Bühne auftauchen). Dadurch trainieren sie Netzwerke im Gehirn, die es uns ermöglichen, die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten, Störungen auszublenden, ein Abdriften zu bemerken und wieder zum gewählten Objekt zurückzukehren.
- Körperbewusstheit. Die am häufigsten praktizierten Meditationstechniken (siehe oben) nutzen Körperempfindungen als Anker oder durchwandern systematisch den Körper. Dadurch verfeinert sich die Körperwahrnehmung, subtile Warnsignale des Körpers werden leichter wahrgenommen und wir sind uns insgesamt unserers Körpers stärker bewusst.
- Emotionsregulation. Wenn wir uns beim Meditieren nach Innen wenden, werden wir häufig mit auftauchenden Gefühlen konfrontiert, die bis zu längst vergessenen bzw. verdrängten traumatischen Erlebnissen reichen können. Aufgrund der körperlichen Entspannung und bewussten Wahrnehmung der Gefühle, können diese oft neu gesehen, verstanden und integriert werden, ähnlich wie bei einer Psychotherapie.
- Veränderte Perspektive auf das Selbst. Durch die achtsame Selbstwahrnehmung in der Meditation entwickelt sich eine Meta-Bewusstheit, durch die Rollenidentifkationen und Egozentrismus reduziert werden können. Soziale Bewertungen und Imagepflege werden weniger wichtig, Authentizität und Integrität werden gestärkt, wenn die Person stärker in ihrer Selbstwahrnehmung verankert ist.
Inzwischen gibt es neue Ansätze, die Wirkung von Meditation zu erklären, die auf der Theorie des Predictive Processing basieren. Exemplarisch sei auf einen wegweisenen Artikel von Laukkonen und Slagter (2021) hingewiesen. In diesem Artikel werden verschiedene Meditationstechniken hinsichtlich ihrer Wirkung auf das Bewusstsein in eine Reihenfolge gebracht (siehe dazu auch Figure 2 im Originalartikel nebst Bildunterschrift mit Erläuterungen):
- Fokussierte Aufmerksamkeit (focused attention) auf gegenwärtige Empfindungen führt dazu, dass wir der Tendenz unseres Geistes entgegenwirken, permanent Zukunftprojektionen zu produzieren, zu bewerten und uns Geschichten über uns selbst zu erzählen. In der Forschung wird in diesem Zusammenhang vom narrativen Selbst gesprochen. Die Gewohnheit, ständig Vorhersagen zu produzieren, um unser Verhalten zu steuern, wird durch die Ausrichtung auf das sinnliche Erleben in der Gegenwart unterbrochen; der Zeithorizont wird begrenzt.
- Offenes Gewahrsein (open monitoring). Auf der nächsten Stufe richtet sich die Aufmerksamkeit auf alles, was spontan im Bewusstsein auftaucht. Durch das nichtwertende Betrachten der inneren Vorgänge, Empfindungen, Gefühls- und Denkmuster, entstehen neue Einsichten und eine Loslösung von bisherigen begrenzenden Konditionierungen wird möglich.
- Nicht-duale Techniken (non-dual) schließlich zielen darauf ab, grundlegende Annahmen über die Getrenntheit von Selbst und Welt (Subjekt-Objekt-Trennung) infrage zu stellen, um Erfahrungen der Ichauflösung und mystischen Einheitserfahrungen den Weg zu bereiten.
Auf der Grundlage der Theorie des Predictive Processing wird sowohl verständlich erklärt, worauf einzelne Techniken abzielen, als auch, warum diese typischerweise in einer bestimmten Abfolge praktiziert werden.
Was lässt sich mit Meditation erreichen?
Wir führen Handlungen in der Regel aus, um etwas Bestimmtes zu erreichen. Auch das Meditieren ist mit bestimmten Erwartungen verbunden, welche Wirkungen es hervorbringen wird. Aber warum wird überhaupt meditiert? Was sind die Motivationen, mit dem Meditieren anzufangen und dann auch dabei zu bleiben? Schauen wir uns zunächst an, was die Forschung darüber weiß. Im Anschluss daran prüfen wir, ob Meditation auch die gewünschten Resultate bringt oder nicht.
Tatsächlich sind die Motivationen, mit denen Menschen beginnen zu meditieren sehr vielschichtig. In einer Studie von Sedlmeier und Theumer (2020) wurden insgesamt 11 Motivgruppen (Faktoren) identifiziert:
- Beruhigen, wohlfühlen, entspannen
- Selbsterkundung, das eigene Bewusstsein und Handeln besser verstehen
- Reaktion auf Probleme, um die Herausforderungen des Lebens besser zu bestehen
- Sich öffnen, das Herz öffnen, den gegenwärtigen Moment bewusster erleben
- Suche nach spirituellen Erfahrungen/Einsichten, veränderte Bewusstseinszustände
- Verbindung mit der Natur, Selbstfürsorge, Körperbewusstheit, Selbstmitgefühl entwickeln
- Befreiung und Mitgefühl, Erleuchtung, Befreiung von Leid, Mitgefühl mit Mitmenschen
- Mentale Stärkung/Verbesserung, Konzentration, Kreativität
- Besserer Umgang mit Problemen, Kummer, Schmerz, Erkrankungen
- Persönlichkeitsenfaltung, postives Denken, weniger Grübeln
- Zufriedenheit und Klarheit, Offenheit für neue Erfahrungen, innere Klarheit, Glück
Die Motive, die mit dem Einstieg in die Meditation verknüpft sein können, bilden ein weites Spektrum. Kann Meditation all diese Erwartungen erfüllen? Gibt es bestimmte Techniken, die besser geeiget sind, um ein Ziel zu erreichen als andere? Das sind Fragen an die Meditationsforschung, auf die ich eingehe, wenn ich die Ergebnisse der Forschung vorstelle. Zuvor möchte ich jedoch noch auf die wichtigsten Methoden der Forschung eingehen, die genutzt werden, um Erkenntnisse über die Wirkungen von Meditation zu gewinnen.